10. Juli 2006 - 2:48 (575) Uhr
Dieses Blog heißt this city will kill me und bisher hab ich auch gedacht, dass sich diese Vorhersage bewahrheiten würde. Besonders, als ich die Domain registriert habe. Da waren nämlich noch alle da. Und jetzt bekomm ich so langsam zweifel daran. Ich bin nämlich selbst bald nicht mehr da. Freitag, 11:40 Uhr, geht mein Flieger gen Heimat - und ich lebe noch. Aber vor allem war ich mir sicher, dass Riga die Stadt sein würde, in der Unkraut letztlich doch vergeht. Und jetzt war Turin so verdammt dicht dran. Turin, die italienische Industriestadt und nicht Riga, die kleine, baltische Metropole, die niemals schläft und auf ihre liebenswürdige Art ganz groß ist.
In Turin habe ich nämlich einen schweren Fehler begangen. Ich habe mir das WM-Halbfinale Italien-Deutschland angeschaut. Vor der Großleinwand im Zentrum, allein unter 20.000 Italienern. Naja, nicht ganz allein, Rita hat auch Elefantentränen für Deutschland vergossen. Trotzdem bleibt da zwischen uns und dem Rest noch der durchaus beträchtliche Faktor zehntausend. Und der besagt vor allem eines: Das war eine ganz, ganz schlechte Idee. Fahre niemals ins Land deines Fußballgegners, um dir dort das Spiel anzuschauen. Vor allem nicht, wenn deine Mannschaft zufällig auch noch die Deutsche ist, die Weltmeisterschaft auch dort stattfindet und der Fußballgegner Italien heißt und aufgrund eines kleinen Ligaskandälchens gerade versucht, mit der Nationalmannschaft das gebrochene Fußballego wieder aufzurichten. Das trägt nämlich alles nicht zu einer freundlichen Atmosphäre bei. Da fliegen dann Flaschen gen Leinwand - und zwar nicht nur bei Übertragungsstörungen - und gereckte Mittelfinger zur deutschen Elf. Da hallen Sprechchöre, die ich trotz meiner beschränkten Italienischkenntnisse ansatzweise verstehe. Sprechchöre, die nicht für das italienische Team jubeln, das fast nie (Allessandr Del Pieros Ballkontakte bildeten hier eine rühmliche Ausnahme), aber dafür umso ausführlicher auf das gegnerische Team schimpfen. Da wird man von den Austausch-Teamleadern beinahe schon grob umquartiert weil die ja italienisch können und deshalb verstehen, was hinter uns gesprochen wurde. Und das war offensichtlich nicht unbedingt wohlwollend. Und das schlimmste: Da steht man 120 Minuten fast schweigend da, flüstert nur untereinander und unterdrückt jede Emotionsäußerung. Kein Jubeln, kein Schreien, kein Springen, nur Stille inmitten von italienischen Flaggen und Schlachtgebrüll. Das tut physisch weh, das zerrüttet - so pathetisch das auch klingen mag. Dagegen treten die vier verlorenen Wetten in den Hintergrund, da singt man fast gern die italienische Nationalhymne vor versammelter Mannschaft, wenn man das nur nie wieder mitmachen muss. Die blanke Verzweiflung am Ende, als das völlig unnötige 2:0 jedliche Hoffnung auf ein typisch dummes, deutsches Wunder vernichtet. Als man inmitten von unvorstellbarem, befreiten Jubel, bespritzt von Sektduschen immer noch nicht fassen kann. Als zwar die Anspannung, die permanente Fluchtbereitschaft abfällt, eigentlich befreiend, aber nicht, wenn an ihre Stelle nur Unglauben tritt.
Nach dem Spiel war ich jedenfalls küger, verdammt geladen, wütend -nicht auf Italiener oder Deutsche, einfach nur so, ziellos, frustriert- und bemüht, ein guter Verlierer zu sein. Hab natürlich geflucht, geschimpft, gebrüllt, was der deutsche Wortschatz so hingibt, aber gleichzeitig versucht, mich mit den Italienern zu freuen. Sie haben es sich ja auch verdient, haben besser gespielt und überhaupt, wenn zuhause alles vor die Hunde geht, soll man denen den Triumph außerhalb doch gönnen. Ist mir aber nicht wirklich gelungen. Und die “Germania merda!”- und “Il Tedescholi e bastardo!”-Rufe waren da auch nicht wirklich förderlich.
Obwohl diese zwei Stunden für mich immer die Erinnerungen an diesen Austausch prägen werden, war das natürlich nicht alles. Da waren noch jede Menge Pasta, gutes italienisches Eis, interessante Leute und sogar ein wenig Arbeit mit durchaus interessanten Ergebnissen. Aber im Ernst: Das verblasst jetzt schon.
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