12. Mai 2006 - 1:56 (538) Uhr

“Mich hat man auch schon oft als Shitklirrkopf bezeichnet”©FoxShitklirrkopfPolitwirrkopf nennen sie mich. Und hauen mir publizistischen Abfall um die Ohren. Thema ist der Iran und Stern, Zeit, Economist oder wie sie alle heißen haben mehr oder weniger Interessantes zu sagen; schreiben den Teufel an die Wand oder den Westen an den Pranger, je nachdem. Kurz: Dem ist nicht zu entkommen. Treiben wir die Sau also noch einen Meter weiter durchs Dorf und schließen auch dieses Schlupfloch.
„Was wollen die eigentlich alle?“ frag ich mich ein fürs andere Mal. Was ist an dem Peugeotfahrer in Teheran schlimmer als an all den anderen großen und kleinen Diktatoren der Welt? Dass er, was als Ausnahme in dieser Gruppe gelten dürfte, einigermaßen ordentlich gewählt wurde, wird es wohl kaum sein. Ein größerer Unterdrücker als andere, zumal in der muslimischen Welt, ist er auch nicht – eher im Gegenteil, aber dazu später mehr. Da ist natürlich die Hetze gegen den Staat Israel und die Juden im Allgemeinen, die dieser Mensch fortwährend absondert wie ein giftiges Sekret. Aber: Kann man die ernst nehmen? Mir scheint es eher, als würde sich da jemand um Kopf und Kragen reden. Die iranische Wirtschaft liegt am Boden, nicht einmal beim Öl sieht es allzu rosig aus und bei den Arbeitslosenzahlen werden selbst leidgeprüfte Deutsche blass. Früher hätte man all das ja noch wegleugnen können, aber im Zeitalter von Satellitenfernsehen, Internet und Blogs lässt sich das Volk nicht mehr dumm halten. Zumal nicht eines, das so gebildet und jung ist wie das iranische. Entschuldigt wird dadurch keine Äußerung, aber es fällt doch leichter, sie einzuordnen: Säbelrasseln nach außen – um die eigenen Leute auf Linie zu bringen. Dabei helfen äußere Feinde nämlich ganz toll, das lernt man schon im ersten Semester „Demagogie“ und das weiß auch ein gewisser Präsident, der das mit den Wahlen ein paar tausend Kilometer weiter westlich auch nicht so ernst nimmt.
Darf man darum aber die Tiraden aus Teheran als leeres Gerede abtun? Sicher nicht, aber es gilt trotzdem, ein gewisses Augenmaß zu wahren. Zum Beispiel in der Atomfrage: Dadurch, dass man dem Iran die zivile Nutzung der Atomenergie verbietet, liefert man den Mullahs und dem Präsidenten Argumentationshilfe. „Die halten unsere Wirtschaft klein und verhindern, dass es mehr Arbeit gibt!“ ist da keine fernliegende Propaganda-These. Wiederum darf man hier das Argument der Nichtverbreitung von Atomwaffen nicht aus dem Auge lassen. Jede Atombombe auf diesem Planeten ist eine zuviel und jede, die neu dazukommt sogar zwei: Sie selbst und die, die nicht an ihrer Stelle abgeschafft wurde. Überlegen wir aber mal zwei Dinge: Wer versucht dem Iran das zu sagen? Da sind einmal die EU-3, von denen zwei selbst den Koffer mit dem großen roten Knopf herumstehen haben und ganz gern mal damit drohen. Da sind die Chinesen und Russen, die es beide nicht ganz so böse mit dem Iran meinen und auch ihre nuklearen Arsenale pflegen. Und ganz besonders sind da die USA, die nicht nur ein gigantisches Arsenal an Atomwaffen besitzen, sondern auch gerade ein Forschungsprogramm für neue Atombomben aufgelegt haben. Na gut, die zählen nur eingeschränkt: Die erlauben sich da ja den Luxus, so kindisch zu sein, nicht mit dem Iran zu reden. Fast hätte ich noch Israel vergessen, das nicht nur direkt um die Ecke liegt, sondern auch atomar bewaffnet ist und diese Nah-Ost-Exklusivität durchaus auch mit Waffen verteidigt. Als Iraner käme ich mir da ganz schön verschaukelt vor. Wie das Schmuddelkind, das nicht mit den schönen Spielzeugen der Anderen spielen darf.
Legen wir also die ideologische Brille ab und fragen uns, was an einem Iran mit Atombombe schlimmer wäre als an einem nuklearen Pakistan, Indien oder Frankreich. Würde Ahmadinedschad tatsächlich Israel von der Landkarte fegen? Wohl kaum. Denn dem Menschen liegt etwas an der Fortexistenz seines Landes. Und wenn nicht an der, dann an der eigenen. Würde er bösewichtigen Terroristen etwas von seinem Spaltmaterial abgeben? Vielleicht – und das gilt es zu verhindern. Nur bezweifle ich, dass dabei Verbote allzu hilfreich sind. Um das zu verstehen, muss man ein, zwei Dimensionen kleiner denken. Nehmen wir zum Beispiel Drogen und fragen uns, was da hilfreicher ist: Verbot oder Regulierung? Die Antwort kann nur letzteres sein, ist es doch in einem deutschen Dorf im Zweifelsfalle leichter, Sonntag nachts um halb drei einen Joint zu bekommen als ein Bier (sofern keine Tankstelle erreichbar ist;)), war doch die Alkoholikerrate in den Vereinigten Staaten nie höher als zu Zeiten der Prohibition und ist Marihuana in den liberalen Niederlanden weniger verbreitet als in den Nachbarstaaten, in denen es schlichtweg verboten ist. Im Iran ist es ähnlich: Ein Verbot wird den Iran nicht an der Urananreicherung hindern, es nimmt dem Rest der Welt nur die Kontrolle darüber. Erlaubt man es dagegen, gibt es kaum ein Argument, dass die Ausweisung von IAEA-Inspektoren rechtfertigt. Mehr Kontrolle gewährt nur eines: Technische Kooperation. Liefert man dem Iran ganz offiziell atomtechnische Ausrüstung, kann man darauf achten, was man da liefert. Baut man ganz offiziell am Kraftwerk in Bashir mit, hat man einen viel größeren Einfluss darauf, ob das gute Stück hinterher waffenfähiges Plutonium erbrütet oder nicht.
Überhaupt gilt es, den Iran ernst zu nehmen. Und zwar nicht als Gegner, sondern als ein Land wie viele andere auch. Damit würde man den Mullahs und Ahmadinedschad die Grundlage für einen guten Teil ihres antiwestlichen Populismus entziehen. Schon aus wirtschaftlichen Gründen würde man sich da eher auf die Zunge beißen – oder hat man vom Iran jemals etwas schlechtes über China gehört? Darüber hinaus hat man in Ahmadinedschad jemanden, der einem in gewisser Weise beim Handel mit Iran sogar das Gewissen erleichtern kann. Denn wird nicht der dunkle Iran der Sittenwächter und Steinigungen symbolisiert durch die Mullahs, jene fundamentalistisch-religiöse Überregierung aus Ewiggestrigen? Und stellt nicht ein Präsident wie Ahmadinedschad für die einen weiteren Machtverlust dar? Ein Präsident, der einem populären wie, laut den Mullahs, unmuslimischen Aberglauben anhängt, der dem Volk näher als dem Koran scheint? Die Mullahs verlieren dem Volk gegenüber ohnehin an Macht, was dem Westen die Chance gibt, den Machttransfer vom Klerus zur Politik zu unterstützen, auch wenn diese derzeit ein garstiges Gesicht zeigt. Der Preis dafür mag hoch erscheinen, aber dennoch ist kein anderes Land im nahen Osten (Israel ausgenommen) der Demokratie näher als der Iran. Dort ließe sich die Agenda von der Demokratisierung des Nahen Ostens umsetzen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Es braucht dazu nur Mut und eine unzerrüttbaren Willen.
Danke für die Geduld, jetzt widme ich mich wieder wichtigen. Bettwäsche und lettischem Bier zum Beispiel (erwartet eindas Kompendium zum letzteren).
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